Rohstoffmangel in Schleswig-Holstein

Am 30. Mai 2018 hat vero zu einem Hintergrund-Pressegespräch zum Thema "Rohstoffmangel in Schleswig-Holstein" eingeladen. Unter anderem der NDR sowie Vertreter von Hörfunk und Printmedien waren der Einladung gefolgt.

Presse-Raimo-Benger-im-NDR-Interview-zur-Rohstoffsituation_in_Schleswig-Holstein.JPG Foto: Raimo Benger im NDR-Interview zur Rohstoffsituation in Schleswig Holstein

Hier die Pressemitteilung, die wir zum Thema veröffentlicht haben:

Kiel, 30. Mai 2018

Engpässe im Straßen- und Wohnungsbau: Die Lage ist angespannt

Kies und Sand sind heimische Rohstoffe, die für den Straßen- und Wohnungsbau dringend benötigt werden. Die Nachfrage steigt, doch viele Gewinnungsbetriebe in Schleswig-Holstein sehen sich mit Lieferengpässen konfrontiert. Das hat verschiedene Gründe: Schleswig-Holstein ist reich an Rohstoffen. Vor allem Sand, Kies und Seekies werden hier gewonnen. In Schleswig-Holstein gibt es rund 70 Sand- und Kieswerke und 60 Transportbetonwerke. Die Produktionsmengen an Kies und Sand liegen derzeit bei rund 17 Mio. Tonnen pro Jahr, Tendenz steigend (2013 lag die Zahl noch bei 14 Mio. Tonnen). Die derzeit benötigten Mengen an Rohstoffen können durch die Produktionsmengen der Betriebe kaum noch gedeckt werden und das, obwohl in Schleswig-Holstein viele Infrastrukturmaßnahmen anstehen. Sichtbar wird das Problem derzeit im Hinblick auf die Verkehrssituation: Viele Fahrbahndecken sind in einem schlechten Zustand, vielerorts sind Straßen- und Brückensanierungen längst überfällig und auf den Autobahnen nehmen die Dauer-Baustellen zu. Die Folge: überall lange Staus.

Erhöhter Bedarf durch geplante Straßensanierungen

Die neue Landesregierung in Schleswig-Holstein hat angekündigt, viele Sanierungsprojekte umzusetzen. Rund 32 % der Landesstraßen in Schleswig-Holstein sind sanierungsbedürftig, also rund 1.170 km Straße. Ebenso stehen verschiedene Autobahn-Sanierungen an: die Autobahnen A1, A7, A20 sowie verschiedene Brückenbauten und die Fehmarnbelt-Hinterlandanbindung. „Für die Sanierung von einem Kilometer Landesstraße benötigt man ca. 40.000 Tonnen Material und für den Bau von einem Kilometer Autobahn-Fahrbahndecke werden 216.000 Tonnen Gesteinsrohstoffe benötigt“, berichtet Sven Fischer, vero-Landesgruppensprecher Schleswig-Holstein. „Dass die Kies- und Sandunternehmen diesen künftigen Bedarf decken können, ist derzeit ungewiss.“

Straßensanierungen und Bauprojekte sind gefährdet

Insgesamt wird es für die Unternehmen der Bau- und Rohstoffindustrie immer schwieriger, die Gewinnung der Rohstoffe aufrecht zu erhalten, um den Bedarf zu decken. Das liegt vor allem an drei Faktoren:

1) Gesetzliche Rahmenbedingungen Die maximalen Abbaumengen sind gesetzlich vorgeschrieben. Rohstoffvorkommen sind in Schleswig-Holstein zwar ausreichend vorhanden, aber häufig werden Flächen ausgewiesen, die nicht genehmigungsfähig sind. Genehmigungen für Erweiterungen sind langwierige Prozesse und dauern sogar mehrere Jahre Die Gründe dafür sind: es gibt keine Regelung zu vereinfachten Genehmigungsverfahren, es besteht ein erhöhter Prüfungsumfang durch Erlasse und auch die personelle Situation bei den Behörden sorgt für lange Bearbeitungszeiten.

2) Hohe Umweltauflagen Die Rohstoffgewinnung unterliegt hohen Umweltauflagen (Wasserschutz, Bodenschutz, Artenschutz, Naturschutz, Immissionsschutz, Gewässerschutz). Das Landeswasserwassergesetz verhindert zum Beispiel mancherorts die Gewinnung von Kies und Sand, obwohl es keine hydrogeologischen Bedenken gäbe, selbst wenn es nur um eine Erweiterung (und nicht um einen Neuaufschluss) geht. Ebenfalls erschwerend: Diese Auflagen sind in den Ländern unterschiedlich geregelt. Eine einheitliche Regelung des Bundes (oder der EU) gibt es nicht.

3) Flächenkonkurrenz Verfügbare Flächen sind rar und stehen im Wettbewerb mit Landwirtschaft, Energiewirtschaft, Besiedelungsplänen.

Import ist keine Lösung

Im Hinblick auf Lösungsvorschläge für die Rohstoffknappheit, wird die Branche häufig mit dem Vorschlag konfrontiert, man könne die fehlenden Rohstoffe ja aus anderen Ländern importieren. „Das wird von manchen Unternehmen auch gemacht“, weiß Thomas Prenzer, vero-Geschäftsführer, zu berichten. „Die Rohstoffe werden aus Dänemark, Schottland und Norwegen zugekauft. Eine Lösung ist das jedoch nicht, da die Rohstoffpreise von importierten Rohstoffen wie Sand und Kies viel höher liegen. Kies ist fast doppelt so teuer, bei Sand liegt der Preis fast um ein

Vierfaches höher. Dies hat zur Konsequenz, dass man mit den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln deutlich weniger Bau- und Sanierungsprojekte realisieren kann, als wenn man eine ortsnahe und dezentrale Versorgung mit heimischen Rohstoffen gewährleisten könnte“, führt er aus. „Damit sind die Infrastrukturplanungen des Landes in Gefahr“, so Prenzer weiter.

Versorgungssicherheit und Verantwortung als Botschaft

Raimo Benger, vero-Hauptgeschäftsführer betont: „Bei anstehenden Neuaufstellungen der Regionalplanung muss daher die ausreichende Versorgung mit heimischen Rohstoffen stärker beachtet werden. Wir fordern eine schnellstmögliche Genehmigung durch die Unterstützung der Landesplanung (insbesondere von aktuell ins Stocken geratenen Verfahren) für die Rohstoffgewinnung.“ Außerdem müsse es in Sachen Umweltauflagen eine Vereinheitlichung der Regelungen geben. „Diese Auflagen sind sinnvoll, müssen aber im Einzelfall geprüft und gegeneinander abgewogen werden. Momentan sind Wasserschutzgebiete und Flora-Fauna-Habitat-Gebiete (FFH-Gebiete) faktisch tabu für die Rohstoffgewinnung. Hier sehen wir dringenden Handlungsbedarf“, so Benger. Er betont: „Den Umwelt- und Naturschutz habe man dabei stets im Blick. Zusammen mit den Unternehmen der Sand- und Kiesindustrie betreiben wir aktiven Umwelt- und Artenschutz. Die Branche ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Im Ergebnis liefert sie nicht nur die Rohstoffe für den Straßen- und Wohnungsbau, sondern schafft parallel dazu naturnahe Landschaften aus zweiter Hand, die seltenen Arten Schutz bieten.“

Seekies: Bedeutung der marinen Kies- und Sandlagerstätten für Schleswig-Holstein

Die marinen Kies- und Sandlagerstätten insbesondere im Bereich des Festlandsockels der deutschen Nordsee und hoheitlich zum Land Schleswig-Holstein gehörend, stellen wichtige Rohstoffquellen dar. Aufgrund ihrer schnellen Verfügbarkeit durch Spezialschiffe können gerade diese Rohstoffvorkommen die landseitige Baustoffgewinnung und -versorgung sowie Zulieferungen im Rahmen von Küstenschutzprojekten in erforderlichem Maße ergänzen und Versorgungsengpässe kurzfristig beheben. So kann Seekies zu einer ausreichenden und langfristig gesicherten Baustoffversorgung in Norddeutschland beitragen. Es muss daher im öffentlichen Interesse und Bestreben Schleswig-Holsteins sowie aller norddeutschen Bundesländer sein, die Rohstoffvorkommen in den deutschen Küstengewässern und der Ausschließlichen Wirtschaftszone von Nord- und Ostsee vorzuhalten. Seekies und -sand müssen als langfristige Rohstoffreserven auf Ebene der Raumordnung gesichert werden und der genehmigungsrechtliche Zugang zu diesen Rohstoffen muss auch weiterhin ermöglicht werden, denn: Die marinen Kies- und Sandvorkommen sind Grundlage, Voraussetzung und essentieller Bestandteil einer ausreichenden Baustoffversorgung in Norddeutschland.

Schwierigkeiten für die marine Kies- und Sandgewinnung

Die Genehmigungsverfahren für die seeseitige Kies- und Sandgewinnung sind langwierig und ziehen sich teilweise über viele Jahre hin. Insbesondere im Bereich der Meeresnutzung und des Meeresschutzes sind in den vergangenen Jahren fortlaufend und kontinuierlich auf nationaler und europäischer Ebene neue Gesetze erlassen und Anforderungen verschärft worden. Dadurch haben sich auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für den seeseitigen Abbau von Kies und Sand fortlaufend verändert und den genehmigungstechnischen Zugang zu den Lagerstätten erheblich erschwert. Aus rohstoffsicherungspolitischer Sicht ist es vor diesem Hintergrund umso bedrohlicher, dass mehrere bergrechtliche Bewilligungen in der Nordsee in der nahen Vergangenheit von der zuständigen Genehmigungsbehörde widerrufen wurden. Hierdurch würden der Bundesrepublik Deutschland und dem Bundesland Schleswig-Holstein große Mengen an Roh- und Baustoffressourcen für den norddeutschen Baustoffmarkt dauerhaft verloren gehen.