Gemeinsames Schreiben der Dachverbände

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Gemeinsames Schreiben von Baustoffindustrie, Bauwirtschaft und Gewerkschaften zur aktuellen Energiepreiskrise

Sehr geehrter Herr Bundesminister,
die wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine treffen die Wertschöpfungskette Bau mit besonderer Härte. An erster Stelle sind vor allem die Hersteller und Produzenten von mineralischen Roh- und Baustoffen als energieintensive Industrie mit einem jährlichen Verbrauch von 15 Mio. MWh Erdgas und 8 Mio. MWh Strom betroffen. Immer mehr langfristige Energieversorgungsverträge laufen aus, wodurch die Unternehmen Strom und Erdgas an den Märkten teilweise zum mehr als Zehnfachen gegenüber dem Vorkrisenpreis einkaufen müssen. Dieses Preisniveau ist kurz- und mittelfristig existenzbedrohend, da eine wirtschaftliche und international wettbewerbsfähige Produktion von Baustoffen in Deutschland so nicht mehr möglich ist. Hinzu kommt die Gasbeschaffungsumlage, die in der angedachten Höhe allein für die Baustoffindustrie weitere rund 370 Mio. Euro Mehrbelastung im Jahr bedeutet. Bereits 2020 betrug der Energiekostenanteil an der Bruttowertschöpfung in einzelnen Baustoffbranchen bis zu 30 Prozent, dieser Anteil ist nun kurzfristig deutlich gestiegen.

Mehr noch: Die Auswirkungen des russischen Krieges in der Ukraine haben die Anfälligkeit internationaler Lieferketten und damit die Wichtigkeit der heimischen Industrieproduktion verdeutlicht. Steigende Energiepreise wirken toxisch auf den Wirtschaftsstandort und führen mittelfristig zu Produktionsausfällen, mindestens aber zu weiteren Preissteigerungen für das Bauen in Deutschland. Bereits in den vergangenen Monaten haben die enormen Preissteigerungen am Bau sowohl zu einem Rückgang beim Auftragseingang in der Bauwirtschaft von (im zweiten Quartal 2022) real 9,5 Prozent als auch zu zunehmenden Stornierungen von bereits beauftragten öffentlichen und privaten Projekten geführt. Die Investitionsbudgets der Auftraggeber für notwendige Maßnahmen sowohl im Wohnungsbau als auch in der Verkehrsinfrastruktur reichen schlicht nicht mehr aus. Die Folge: Die bau- und verkehrspolitischen Ziele der Bundesregierung sind unter diesen Voraussetzungen nur schwer zu erreichen.

Besonders in Krisenzeiten braucht Deutschland gute Löhne und stabile Wertschöpfungsketten. Darüber hinaus müssen die bestehenden Entlastungsprogramme für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie für die Bauwirtschaft und Baustoffindustrie signifikant ausgeweitet werden. Bezahlbares Bauen und Wohnen muss weiterhin, wie es im Koalitionsvertrag beschlossen wurde, Prämisse bleiben. Es kann nicht sein, dass in Deutschland die Energiepreise um ein Vielfaches höher liegen als in unseren europäischen Nachbarländern. Das wird in letzter Konsequenz dazu führen, dass ein Großteil der Produktion ins Ausland verlagert werden wird.

Deshalb bitten wir Sie, sämtliche Schritte zu ergreifen, um die Energiepreise zu senken und gleichzeitig die Versorgungssicherheit zu gewährleisten:

  • Auf dem EU-Binnenmarkt muss ein Level-Playing-Field bei den Energiepreisen herrschen. In anderen EU-Mitgliedstaaten greifen aktuell erheblich weitreichendere Kostensenkungen als in Deutschland. Vor diesem Hintergrund schlagen wir eine deutliche Erweiterung des Energiekostensenkungsprogramms vor.

  • Bereits kurzfristig sollte eine Deckelung der Gas- und Strompreise eingeführt werden, um Verzerrungen auf dem Binnenmarkt zu vermeiden und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu erhalten. Parallel sollte die Preisfindung am Strommarkt (Merit Order) angepasst werden, damit nicht länger das teuerste Kraftwerk den Preis für die gesamte Stromerzeugung setzt. Auch wegen der zusätzlichen Gasbeschaffungsumlage brauchen Privatverbraucher und Betriebe staatliche Entlastungen.

  • Um die Erdgasverstromung zu reduzieren, müssen – soweit notwendig – vorhandene Kohlekapazitäten vorübergehend zurück in den Markt gebracht werden. Zudem müssen die Erneuerbaren Energien schneller ausgebaut werden.

Darüber hinaus sollten Maßnahmen zur Unterstützung unserer Beschäftigten ergriffen werden, um auch hier für die notwendigen Entlastungen zu sorgen:

  • Damit die mögliche Verteuerung der Energiekosten von den Beschäftigten teilweise ausgeglichen werden kann, sollten von Unternehmen geleistete Sonderzahlungen befristet steuer- und abgabenfrei gestellt werden.

  • Es ist nicht auszuschließen, dass Unternehmen ihre Beschäftigten längerfristig in Kurzarbeit senden werden. Eine gesetzliche Aufstockung des Kurzarbeitergeldes könnte einen Teil der Härten für die Beschäftigten auffangen

Mit diesen Punkten kann der weiteren Preisentwicklung auf den Energiemärkten entgegengesteuert, die Bautätigkeit stabilisiert und eine sich weiter zuspitzende Fachkräftekrise zumindest ansatzweise abgewendet werden. Gerne stehen wir Ihnen für den persönlichen Austausch zur Verfügung.

Ein gleichlautendes Schreiben haben wir an Frau Bundesministerin Geywitz sowie die Herren Bundesminister Lindner, Heil, Schmidt und die Vorsitzenden der Regierungsfraktionen versandt.

Mit freundlichen Grüßen

  • Dr. Dominik von Achten Präsident Bundesverband Baustoffe - Steine und Erden e.V. (bbs)
  • Carsten Burckhardt Vorstand Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU)
  • Ralf Sikorski Stellvertretender Vorsitzender Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (IG BCE)
  • Peter Hübner Präsident Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. (HDB)
  • Reinhard Quast Präsident Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V. (ZDB)